Was nützt die Philosophie in Gedanken?

Ein Reisebericht zur diesjährigen Besinnungsfahrt des Philosophiekurses der Q1 nach Rüdesheim vom 31.5. bis 2.6.2012


"Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken gefasst", meinte einst der große Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel im 19. Jahrhundert. Für das als allgemein "dunkel" verschriene Mittelalter hatte Hegel jedoch, wie so viele seiner Zeitgenossen und Nachfahren, fast nur Verachtung übrig. Auch für den gewöhnlichen Durchschnittsbürger gilt das Mittelalter vor allem als ein: langweilig. Dass diesem Urteil jedoch oft schlichtes Unwissen und Vorurteil vorausgeht, konnten wir auf der diesjährigen Besinnungsfahrt des Philosophiekurses der Q1 erfahren, denn hier erlebten wir das Mittelalter in seiner kulturellen Bedeutung und seinem Facettenreichtum und konnten uns ihm von einer neuen Seite her nähern: dem philosophischen Denken des Mittelalters. Es sollte eben genau etwas von dieser Zeit und ihren Gedanken, wie Hegel es formulierte, erfahren werden, eben seiner Philosophie und Theologie. Man könnte sagen, wir hatten uns die Aufgabe gestellt, etwas Licht ins Dunkel des Mittelalters zu bringen, allenfalls natürlich nur mit einer Funzel bewaffnet und keinem Riesenscheinwerfer. Dass wir hier nur eine erste Annäherung schaffen wollten, soll an dieser Stelle daher nicht verschwiegen werden, ging es doch eher darum, ergebnisoffen uns der Philosophie der „Dark Ages“ zu nähern, ohne Anspruch, die gesamte Bandbreite eben dieses Denkens zu erfassen. Vielmehr wollten wir nur etwas von dem Geist und den Gedanken eben dieser Zeit spüren und das Ganze auch sinnlich durch die Erkundung der wunderschönen Rheingegend um Rüdesheim abrunden. Schon die Anreise gestaltete sich als ein wahrlich malerisches Unterfangen, passierten wir doch auch den Felsen der Loreley, dem nicht nur Heinrich Heine ein unvergessliches romantisches Denkmal setzte. (Im Gegensatz zu so manch einem Schiff der Vergangenheit konnten wir aber unversehrt in unserer Bahn die Loreley passieren) Also, mit rund 20 rheinischen Frohnaturen machten wir uns auf den Weg ins „düstere“ Mittelalter, gen Süden, den Rhein entlang nach Rüdesheim.
Angekommen in Rüdesheim, mussten wir erst einmal einen für viele anstrengenden Fußmarsch in Richtung Jugendherberge hinter uns legen, wodurch wir schon einen ersten Eindruck von den Strapazen des Mittelalters zu spüren bekamen, war die Jugendherberge doch auf einem Hügel gelegen, den nicht alle mit Freude "erklimmen" wollten. Aber Gott sei Dank konnten diese durch modernste Kommunikationsmittel auch modernste Transportmöglichkeiten zu sich ordern. Was muss das Mittelalter doch dagegen mühselig gewesen sein!

Am ersten Tag, nach überstandener Anreise, stand dann auch eine erste Annäherungen an die philosophischen Denktraditionen des Mittelalter im Vordergrund, bei der wir uns solchen Denkern näherten, die auch für den allgemeinen Kölner nicht ganz unbekannt sein dürften, tragen doch einige Einrichtungen und Straßen unserer Domstadt ihre Namen. Albertus Magnus war z.B. nicht nur der Namensgeber der Kölner Uni, sondern auch ein Bischof und Gelehrter, der wegbereitend für den christlichen Aristotelismus des hohen Mittelalters war. Auch Thomas von Aquin, einer der Schüler von Albertus Magnus, fand seinen Weg in unsere Stadt, die, man ahnt es schon, als wichtiger Ort für das christlich-philosophische Denken im Mittelalter galt. Das sollte man einmal jemandem erzählen, der Köln vor allem lediglich mit der fünften Jahreszeit und seinen Jecken in Verbindung bringt.
Allgemein erarbeiteten wir die zwei unterschiedlichen, auf Platon und Aristoteles zurückgehenden Denkschulen des Mittelalters und ihre Verbindungen zum christlichen Glauben. Doch was wäre das Mittelalter ohne Hexen und Dämonen? Richtig, nichts! Also hatten wir auch die Mystik auf dem Plan stehen und erfuhren so einiges über das vermeintlich Übersinnliche, was ja das Mittelalter für uns auch erst so spannend, aber eben auch fremd, macht. Jetzt könnte an dieser Stelle der aufmerksame Leser natürlich denken, wieso wir denn überhaupt nach Rüdesheim gefahren sind, liegt doch die ehemalige Wirkungsstätte der Freigeister, wie beschrieben, lediglich einen Steinwurf weit weg vom Apostelgymnasium. Nun, die Arbeit an den philosophischen Texten sollte natürlich nicht den Hauptteil der Fahrt, die nicht ohne Grund "Besinnungsfahrt" hieß, in Anspruch nehmen. Man könnte fast reimend sagen, neben der Frage nach dem Sein, gab es ja noch viel mehr zu erkunden: den Rhein und Wein.
Wenn man nicht gerade vollends damit beschäftigt war, sich nicht von amerikanischen und japanischen Touristenkolonnen tottrampeln zu lassen, konnte man sich an einer der schönsten Gegenden Deutschlands sein "kontemplatives" Erlebnis ergattern, eben dem Versinken in der wunderschönen Rheinlandschaft mit seinen Burgen und Weinbergen. Echte "Besinnung" also durch die Einzigartigkeit dieser Landschaft, die nicht zu Unrecht zum UNESCO-Welterbe zählt. (Und die Sonne meinte es auch gut mit uns)
Den Ausklang des ersten Abends gestalteten wir mit dem Anschauen des Filmes Der Name der Rose, der uns dann doch auch visuell, nach der anstrengenden und oft verwirrenden Lektüre am Nachmittag, gute Einblicke ins lebendige Leben des Mittelalters und seiner Benediktinermönche bot. In dem auf den gleichnamigen Roman von Umberto Eco aus dem Jahr 1980 basierenden Film sahen wir einen Sean Connery, der diesmal nicht mit Hi-Tech Ausrüstung als James Bond die Welt vor dem Abgrund rettete, sondern lediglich mit seinem Geist bewaffnet gegen eine Mordserie in einer Benediktinerabtei ankämpfte, wodurch sich ihm und uns eine Welt voller Glaubensfehden, verbotener Leidenschaften und krimineller Energien auftat, was uns wiederum einige der politischen, sozialen und religiösen Konflikte plastisch zu Bewusstsein brachte. Ein Beweis dafür, dass Filme auch ohne jeden (post)modernen 3D-Schnickschnack durchaus spannend sein können!
Am zweiten Tag stand dann ein Highlight des Programms auf der Tagesordnung. Eingestimmt durch den Film des Vorabends machten wir uns auf den Weg ins Kloster Eberbach im Rheingau, dem ehemaligen Kloster des Zisterzienser-Ordens, das eine so eindrucksvolle Kulisse für den Film darstellte (hier wurden im Winter 1985/86 fast alle Innenaufnahmen für den Film gedreht) und nicht zu unrecht durch seine romanischen und frühgotischen Bauten zu den bedeutendsten Kunstdenkmälern Deutschlands zählt. Hier konnten wir erste Einblicke in die Lebenswelt des ehemaligen Bettlerordens aus dem 12. Jahrhundert gewinnen, auch wenn das frühlingshafte Wetter und die grünen Wiesen nicht den Eindruck aus dem Film bestätigen konnten, wurde das Kloster hier doch in äußerster Düsternis präsentiert. In der Realität führten die rund 200 Zisterziensermönche ein Leben des Gebets, der Lesung und der Arbeit und stellten sich somit in die Tradition der Benediktinermönche. Abgeschiedenheit von der Welt und Einfachheit der Lebensweise waren ihre Grundideale, also nicht gerade das, was wir uns mit der Fahrt erhofften, stand doch recht schnell wieder das Thema des Abendessens und Ausgehens auf unserer Agenda. (Philosophische gesprochen: Die Verbindung von Leib und Geist!)
Alles in allem kann gesagt werden, dass wir uns dem Leben und Denken des Mittelalters ein Stück weit genähert haben, ohne längst alles oder auch nur annähernd genug verstanden zu haben. Das uns Fremde des Mittelalters haben wir deutlich zu spüren bekommen, jedoch in einer positiven Art und Weise, die uns doch gezeigt hat, das Mittelalter war vor allem eins: von der modernen Zeit deutlich unterschieden, jedoch nicht per se düster und dunkel. Eben einfach anders. Doch gerade diese Fremdheit sahen wir als Chance, wie es auch Hugo von Sankt Victor, ein weiterer christlicher Geistlicher dieser Zeit, treffend vor ungefähr 900 Jahren formulierte: „Wer sein Heimatland liebt, ist noch ein zarter Anfänger. Derjenige, dem jeder Fleck auf Erden so viel gilt wie der, auf dem er selbst geboren wurde, hat es schon weit gebracht. Reif aber ist erst der, dem die ganze Welt zu einem fremden Ort geworden ist." Eben in dieser Fremdheit ist uns das Mittelalter doch ein Stück weit vertrauter geworden.
Von Sascha André Regier (Referendar)
Leitung: Gerhard Nurtsch, Katharina Dellbrügge, Sascha Regier
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